Riad Othman.

 

Grenzfall.

 

„Sie haben ein Problem“, sagte der russische Zöllner gewichtig, ein mittelgroßer Rotschopf mit rosigem Gesicht und stahlblauen Augen, die mit ihrer Kühle nicht so recht zu dem etwas teigigen kindlichen Gesicht passen wollten. „So? Nicht, dass ich wüsste“, entgegnete ich selbstsicher, denn schließlich hatte ich auf meiner Rückreise aus Petersburg die Deklaration über Waffen, Kunstgegenstände, Drogen und Valuten ordnungsgemäß ausgefüllt für den weißrussisch-russischen Grenzposten, zumal nicht zum ersten Mal...

„Auf Ihrer Deklarierung fehlt der Einreisestempel, der bestätigt, dass Sie mit der angegebenen Summe auch ins Land kamen und also berechtigt sind, Valuten in der Höhe des von Ihnen angegebenen Betrages auszuführen. Das Geld könnte ja sonst aus irgendwelchen Quellen stammen“, erläuterte er. Das konnte nicht wahr sein: 600$ sollte ich an der Grenze lassen - gegen eine Quittung versteht sich, deren Wert dem eines Fetzens Toilettenpapier sehr nahe gekommen wäre. 600$ für Klopapier schien mir doch eine rechte Fehlinvestition zu sein, und so begann der Krieg zwischen uns: ob ich meine Rechte kennen würde, bzw. die Ausfuhrbestimmungen, dass der Zug entweder ohne mich oder ohne meine 600$ weiterfahren werde, dass es mir  natürlich freistehe mit zum diensthabenden Offizier zu kommen und mich dort über Ein- und Ausfuhrgesetze der Russischen Föderation oder direkt über ihn, den kleinmütigen Rotschopf, beschweren könne und dass der Natschalnik mir dann schon sagen werde, wer Recht hat. Ich solle mir das mal überlegen.

Damit verschwand er, beachtete mich nicht weiter und führte seine Kontrollen weiter durch.

Hilfesuchend wendete ich mich an den Schaffner; dann kam der Zuhälter, der zwei Abteile weiter hauste und mit seinen Nutten ebenfalls nach Budapest unterwegs war, und sagte mit rauchiger Stimme und Bocksaugen, die hinter leicht orangefarben getönten Brillengläsern listig blinzelten: “Na gib ihm ‘n Groschen. Das ist, was der will!“ - „Glauben Sie? Aber ich hab’ ihn schon vorsichtig gefragt, ob wir das nicht unter uns ausmachen könnten.“ - „Nicht viel babbeln, direkt Geld anbieten; wenn er auf stur stellt oder sich ziert, biet’ ihm noch mehr an, aber gib ihm auf gar keinen Fall mehr als fünfzig Mark!“ - „Was?“ - „Das ist noch billig, schließlich bist du Deutscher! Für uns Russen wären das dann zehn oder zwanzig:“

...und eigentlich fehlte nur noch, dass er noch gesagt hätte, wir Ausländer machten ihnen die Tarife an der Grenze kaputt und sollten künftig wieder mit dem Flugzeug reisen. Meine Selbstsicherheit schwand zusehends dahin. Was sollte ich tun? Dann fielen mir aber unzählige alte Krimis und Agentenfilme ein in denen der Oberbösewicht auf die Frage seines Laufburschen hin, was denn aus der Sache werden solle, wenn dieser oder jener sich nicht bestechen lassen sollte, doch stets siegesgewiss eröffnet hatte: “Es wird funktionieren! Jeder Mensch ist käuflich, es kommt nur auf den Preis an...“ Also klaren Kopf bewahren, ich komme hier ‘raus, jeder Mensch ist käuflich, jeder Mensch, käuflich, käuflich, jeder, ja, ja....

Zäh vergingen die Minuten, und dass in den Filmen die Schurken am Ende trotzdem immer ‘was auf die Mütze kassierten, vermochte meine vagen Hoffnungen nicht zu trüben. Ja, ich führte das Leben eines Abenteurers und kam mir in die er kurzen Zeit selbst vor wie in einem

-- zugegebenermaßen eher schlechten -- Film! Seltsam, ob wohl die Helden in den Filmen auch so die Hosen voll hatten wie ich? Zumindest sah man das als Zuschauer nicht...

Plötzlich öffnete sich die Tür meines Abteils, und da stand er wieder: der mir inzwischen so verhasste Rotschopf, dieser Teufel in Uniform mit dem rosa Gesicht eines Schweins und den Augen eines Hais:„Nun? Also? Hast du dich entschieden?“

Was fiel dem ein? Seit wann waren wir per du? Ich beherrschte mich und unterdrückte die Wut, die mir dieses quälende Gefühl der Ohnmacht bereitete, unter Aufbietung all meiner Kräfte; dann sagte ich einigermaßen fest: “Ich gedenke, weder den Zug zu verlassen noch meine 600$ hier zu deponieren.“ Im folgenden erläuterte ich ihm verschiedene Dinge, die das Geld und die Umstände meiner Reise betrafen, und betonte nochmals, dass es sich dabei nicht um ein Geschenk reicher Eltern handele, sondern um von mir mit ziemlicher Drecksarbeit verdiente Kohle und dass ich daher unter keinen Bedingungen bereit sei, die Summe zurückzulassen. Nach diesem Plädoyer der Starrköpfigkeit, das eigentlich nur helfen konnte, wenn seine Gier seine Bereitschaft, ein Politikum aus den 600$ zu machen, nicht überwog, kam der Augenblick, vor dem ich mich am meisten gefürchtet hatte: Ich bot ihm erneut an, die Sache diskret und ohne unnötige Unannehmlichkeiten für beide Seiten, vor allem natürlich für die meinige, unter uns zu regeln - natürlich nicht ohne die russischen Gesetze und sein gesundes Rechtsempfinden entsprechend zu würdigen und mit Bekundungen meines vollsten Verständnisses zu überhäufen.

Er schwieg. Nach kurzer Zeit aber stellte er sein Aktentäschchen fast beleidigt neben mich auf die Sitzbank und meinte brummig: “Na gut, steck’ ‘rein, was du für nötig hältst!“ Mit diesen Worten wandte er mir den Rücken zu und betrachtete die Gegenstände im Gepäcknetz: Bücher, Zigaretten, Getränkeflaschen, Äpfel....

Ich tat so, als müsse ich das Geld noch hervorkramen, um ihn nicht doch noch zu verärgern durch die Geste, schon mit seiner Bestechlichkeit gerechnet zu haben, wenn ich sofort alles parat gehabt hätte.

Plötzlich öffnete er neugierig das Spiegelschränkchen über dem Waschbecken meines Coupés, in dem sich natürlich meine Reisetoilette befand, unter anderem auch ein Bronchialerweiterungsspray, das man mir vorsorglich gegen Atemnot verschrieben hatte nach einer unlängst überstandenen Lungenerkrankung...

Den Zöllner interessierte weder meine Zahnpasta noch mein Rasierwasser. Einzig dieses Lungenspray schien ihn zu fesseln, nachdem er meinen archaisch anmutenden Rasierapparat verblüfft mit seinen Blicken gestreift hatte. Mit offensichtlich angewidertem Gesicht drehte und wendete er es in den Händen und las sich die Dosierungsanleitung durch. Auf einmal wandte er sich um, musterte mich kritisch und fragte dann etwas gedehnt mit Ekel und Spott in seiner Stimme: “Wie ? Kränkelst auch noch?“ - „Nicht mehr. Das Zeug ist zur Prophylaxe:“ - „Aha, mmh. Was hattest du denn?“ - „Lungenentzündung.“ - „Kack. Mist. Warst du dann in ‘nem russischen Krankenhaus?“ - „Klar.“ - „Oh mann !“

Nach diesem kurzen Wortwechsel, den wir geführt hatten, während er nach wie vor mit dem Rücken zu mir im Abteil stand, fragte er: “Und? Bist du fertig?“ „Ja“, entgegnete ich.

„Na gut, also dann, wünsche eine angenehme Weiterreise, und halte dich das nächste Mal gefälligst an die Gesetze. Nichts für ungut, also, ähem, pass’ auf deine Gesundheit auf.“

Und mit diesen Worten verschwand er.

 

Riad, Radio Ech 2001.