Manche wissen, was sie tun -
andere nicht und tun es trotzdem. Letzteres gilt für mich und das, was ich im
Radio Ech mache - oder besser, gemacht habe, denn eigentlich musste ich vor
kurzem aus Freiburg wegziehen und kann nur noch “im Geiste” dabeisein... Bin
ich da hingegangen, um mir immer wieder neue Adrenalinstösse zu holen, mein
persönliches, kostenloses Speed-Ecstasy-Crack-Heroin- Substitut ?
Wenn ich wieder mal, als der
Jingle gerade zu seinem Ende kommt, merke, dass ich das Interview zu Hause
gelassen habe oder mich wundere, warum der weltbekannte russische Barde
Wladimir Wyssotzkij immer auf marokkanisch anfängt zu heulen, wenn ich den
Lautstärke-Regler hochziehe - bis ich sehe, dass da noch die Kassette von Voice
of Africa drinsteckt? Oder der Weg zum Radio, über die blaue Brücke, ausser
Atem, noch schnell während der Fahrt das Konzept für die Sendung
umgeschmissen…Die 45er Platte mit kratziger Nadel angeworfen - die dann
anfängt, sich auf Tempo 180 zu drehen, weil wieder irgendwer alles irgendwie
verstellt hat…
Wenn man für all diese
vielen Pannen noch die Attribute “liebenswert chaotisch” benutzen könnte oder
“sympathischer Dilettantismus” oder “erfrischend echt” oder “mal was Ehrliches
in der heutigen synthetischen Medienwelt”! Wenn alle diese Floskeln nicht nur
schon 10.000 mal während der 10-jährigen Geschichte von Radio Dreyeckland
ausgesprochen worden wären, könnte man sich so vielleicht trösten.
Ansonsten bleibt eben nur
die klamme Hoffnung: “Um Gottes Willen - hoffentlich hat das mal wieder kein
Mensch gehört”.
Aber wie es der Teufel wohl
so will, neulich sass ich während der Ferien allein in einem menschenleeren
Studio, vor mir die zum Mikrofon umgebaute Jugend-Schreibtischlampe, unter mir
ein Drehstuhl, der bei jeder Bewegung aufächzt (was den Zwischen-Jingle
manchmal überflüssig macht) und hinter dem Mikrofon - der weite, unendliche
Äther… Die vom vielen Reden angekratzte Stimme wird von diesem orangenen
Schwamm vor mir aufgesaugt, jedes auch noch so belanglose Wort verschwindet
darin für immer. Nichts ist zurückzuholen, nur, allerhöchstens, zuzukleistern.
Die Ideen für meine Sendung - ich hatte mir auch noch sinnigerweise ein für
eine Alleine-Sendung passendes Thema ausgesucht: den Alkoholismus - gingen
immer mehr zur Neige. Ich begann, die leere Wodkaflasche vorzulesen, um diese
desolate Situation mit Klängen zu verarbeiten. Ich stellte mir dabei vor, ich
und diese leere ukrainische Wodkaflasche wären ganz allein in dieser endlosen
ätherischen Welt…. Der Boden, fing an, mir unter den Füssen wegzugleiten. Es
blieb mir nichts anderes übrig, als mich an klaren, geraden Strukturen
festzuhalten und ein russisches Rätselbuch aufzuschlagen. In die endlose,
stumme Weite hinein, begann ich laut zu fragen: Wieviel Grossmütter mit Motorrädern
können von der Kamtschatka bis Odessa fahren, wenn die Grossmutter, die keinen
Hubraum von 10 litern hat, immer 50 meter vor der Grossmutter mit 45 PS an der
Tankstelle, die nur nach 574 Metern ….undsoweiter undsoweiter…. In den vielen
Zahlen begann ich mich zu verheddern. Der Kopf wurde nicht klarer, im
Gegenteil, alles nur immer verschwommener. Letzter Rettungsanker: “Das wars,
liebe Hörerinnen und Hörer, die Lösung erfahrt ihr nächste Woche wenn es
donnerstags abends wieder heisst - hier ist Radio Ech auf 102,3 Megahertz!
Macht es gut und tschüss! Tschüss! Poka!”
Ein Jahr später, auf einer
Party: “He Lina, ich hab dich mal im Radio gehört, da hast du irgendso ein
Rätsel erzählt und ich hab noch die ganze Nacht lang gerechnet und eine Woche
später wieder angeschaltet- aber die Lösung wurde nie verraten!!”
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Julia Landau, Radio ECH, 2000.