Julia Landau.

 

Radiofimmel.

 

Manche wissen, was sie tun - andere nicht und tun es trotzdem. Letzteres gilt für mich und das, was ich im Radio Ech mache - oder besser, gemacht habe, denn eigentlich musste ich vor kurzem aus Freiburg wegziehen und kann nur noch “im Geiste” dabeisein... Bin ich da hingegangen, um mir immer wieder neue Adrenalinstösse zu holen, mein persönliches, kostenloses Speed-Ecstasy-Crack-Heroin- Substitut ?

Wenn ich wieder mal, als der Jingle gerade zu seinem Ende kommt, merke, dass ich das Interview zu Hause gelassen habe oder mich wundere, warum der weltbekannte russische Barde Wladimir Wyssotzkij immer auf marokkanisch anfängt zu heulen, wenn ich den Lautstärke-Regler hochziehe - bis ich sehe, dass da noch die Kassette von Voice of Africa drinsteckt? Oder der Weg zum Radio, über die blaue Brücke, ausser Atem, noch schnell während der Fahrt das Konzept für die Sendung umgeschmissen…Die 45er Platte mit kratziger Nadel angeworfen - die dann anfängt, sich auf Tempo 180 zu drehen, weil wieder irgendwer alles irgendwie verstellt hat…

Wenn man für all diese vielen Pannen noch die Attribute “liebenswert chaotisch” benutzen könnte oder “sympathischer Dilettantismus” oder “erfrischend echt” oder “mal was Ehrliches in der heutigen synthetischen Medienwelt”! Wenn alle diese Floskeln nicht nur schon 10.000 mal während der 10-jährigen Geschichte von Radio Dreyeckland ausgesprochen worden wären, könnte man sich so vielleicht trösten.

Ansonsten bleibt eben nur die klamme Hoffnung: “Um Gottes Willen - hoffentlich hat das mal wieder kein Mensch gehört”.

 

Aber wie es der Teufel wohl so will, neulich sass ich während der Ferien allein in einem menschenleeren Studio, vor mir die zum Mikrofon umgebaute Jugend-Schreibtischlampe, unter mir ein Drehstuhl, der bei jeder Bewegung aufächzt (was den Zwischen-Jingle manchmal überflüssig macht) und hinter dem Mikrofon - der weite, unendliche Äther… Die vom vielen Reden angekratzte Stimme wird von diesem orangenen Schwamm vor mir aufgesaugt, jedes auch noch so belanglose Wort verschwindet darin für immer. Nichts ist zurückzuholen, nur, allerhöchstens, zuzukleistern. Die Ideen für meine Sendung - ich hatte mir auch noch sinnigerweise ein für eine Alleine-Sendung passendes Thema ausgesucht: den Alkoholismus - gingen immer mehr zur Neige. Ich begann, die leere Wodkaflasche vorzulesen, um diese desolate Situation mit Klängen zu verarbeiten. Ich stellte mir dabei vor, ich und diese leere ukrainische Wodkaflasche wären ganz allein in dieser endlosen ätherischen Welt…. Der Boden, fing an, mir unter den Füssen wegzugleiten. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich an klaren, geraden Strukturen festzuhalten und ein russisches Rätselbuch aufzuschlagen. In die endlose, stumme Weite hinein, begann ich laut zu fragen: Wieviel Grossmütter mit Motorrädern können von der Kamtschatka bis Odessa fahren, wenn die Grossmutter, die keinen Hubraum von 10 litern hat, immer 50 meter vor der Grossmutter mit 45 PS an der Tankstelle, die nur nach 574 Metern ….undsoweiter undsoweiter…. In den vielen Zahlen begann ich mich zu verheddern. Der Kopf wurde nicht klarer, im Gegenteil, alles nur immer verschwommener. Letzter Rettungsanker: “Das wars, liebe Hörerinnen und Hörer, die Lösung erfahrt ihr nächste Woche wenn es donnerstags abends wieder heisst - hier ist Radio Ech auf 102,3 Megahertz! Macht es gut und tschüss! Tschüss! Poka!”

Ein Jahr später, auf einer Party: “He Lina, ich hab dich mal im Radio gehört, da hast du irgendso ein Rätsel erzählt und ich hab noch die ganze Nacht lang gerechnet und eine Woche später wieder angeschaltet- aber die Lösung wurde nie verraten!!”

 

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Julia Landau, Radio ECH, 2000.