Julia Landau.
Russland und die
Deutschen - oder die Deutschen und Russland -
Oder: meine Mission.
Da könnte man ewig
schwadronieren und es käme nichts Neues dabei raus.
Wieso mache ich eigentlich
als Deutsche russisches Radio auf deutsch? Könnte ich nicht einfach Radio
machen? Einfach so? Will ich Werbung für russische Kultur oder besser, für
russische Politik machen? Die fast schon totgeglaubte DSF - deutsch-sowjetische
Freundschaft wiederaufleben lassen?
Oder will ich mich selbst
entfremden - zur Fremden stilisieren? Die Selbst-Russifizierung als Vorbild für
- Millionen - Hörer und Hörerinnen empfehlen?
“Werden auch Sie Russe - ein
bisschen grosse weite Seele tut Ihnen sicher auch mal ganz gut! Nehmen auch Sie
etwas Abstand vom Alltag: Das Büro arbeitet heute nicht. Treffen Sich mit
Freunden, setzen Sie sich ganz locker in einen Kreis und sprechen Sie sich
gegenseitig Toaste aus, bei denen Sie sich und Ihre Freunde in den grünen Klee
loben. Sie werden von sich selbst begeistert sein. Zwischendurch dürfen sie
trinken und genüsslich an Gürkchen oder Würstchen knabbern. Lehnen Sie sich
zurück und denken Sie an endlose, weite Birkenwälder oder Plattenbausiedlungen.
Für die Männer: Stellen Sie sich rosamündige Frauen mit Plastiktüten vor.
Fürdie Frauen: Stellen Sie sich kahlköpfige Bulldoggen in Lederjacken vor.
Setzen Sie eine grosse Brille auf, die das ganze Gesicht bedeckt. Unterhalten
Sie sich über Schopenhauer. Seien Sie ganz Sie selbst.”
Oder will ich einfach nur
angeben mit meinem Slawistik-Studium?
Wahrscheinlich ist es doch
einfach das: Die reine Eitelkeit.
Aber auch noch etwas
anderes: Natürlich möchte ich - möchten wir, denn es gab und gibt immer schon
einige Deutsche, die Radio Ech gemacht haben, die noch real existierende Mauer
etwas einreissen lassen. Die EU-Abschottungspolitik gegenüber den Migranten aus
Osteuropa wird flankiert von intellektuellem Unverständnis. Das wiederum erhält
durch die märchenerzählende Berichterstattung immer neues Futter. Kaum eine
Zeitung ohne eine Nachricht aus Russland oder der Ex-Sowjetunion, kein
Fernsehabend ohne Moderatoren, die sich vertrauensvoll an russische Eisloch -
Fischer wenden. Da sitzt er dann, mit seiner Angel, der russische Bär, und gibt
über die Weltlage im Besonderen und Allgemeinen Auskunft. Dabei kommt es zu
einer schizophrenen Mythenbildung: Einerseits Sex and Crime, Schlepperbanden
und Mafiosi, die alte Angst - wie schon meine Oma sagte, “die Russen kommen!”-
auf der anderen: der einfache russische Mensch, etwas einfältig, aber doch
“eine grosse, weite Seele”. Der Schluss daraus: Irgendwie sind die ja doch
anders - faszinierend, aber völlig anders.
Und wir? Wollen natürlich
das ganze Prisma russischer - und nicht nur russischer - Kultur zeigen. Ob uns das
gelingt, wer weiss, aber ich denke trotzdem, dass es über russische Kultur,
Geschichte, Politik, so viel Berichtenswertes gibt, dass sich das Unternehmen
lohnt.
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Julia Landau, Radio ECH, 2000.