Olga Sidor.
Wie
ich einmal live dolmetschte.
Ich
liebe es, zusammen mit Viktoria deutsche Sendungen zu machen. Das ist ein
Genuß. Aber man braucht auf jeden Fall starke Nerven und ein wenig
Improvisationstalent.
Einmal
hat sie mich ganz unschuldig (eigentlich alle ihre Einladungen zu dieser
halbstündigen Tortur klingen am Anfang ganz unschuldig) gebeten: “Ich habe
interessante Interviews mit den an der Freiburger Musikhochschule lehrenden
russischen Professoren gemacht,” – sagte sie. – “Es wäre doch gut, sie endlich
mal auch in unserer deutschen Sendung zu verwerten. Nun sind sie aber leider
auf Russisch. Würdest du sie mal übersetzen?” Kein Problem. Als wir uns aber
getroffen hatten, stellte sich ziemlich bald heraus, daß man für eine
schriftliche Übersetzung nicht mehr genug Zeit hatte, ich mußte also live
dolmetschen. Na ja, ich dolmetsche gelegentlich auch bei Veranstaltungen, auch
simultan, das war für mich nichts Neues. Die Sendung ging los und ich habe
irgendwie ganz erträglich gedolmetscht, bis irgendwann der Satz kam: “An der
Freiburger Musikhochschule gibt es junge Leute aus Rußland, aus der Schweiz,
aus den USA, aus Polen, aus Japan, aus Australien” Das habe ich ganz brav
übersetzt. Ist doch nicht kompliziert. Da aber hat sich der wahrscheinlich
schon ziemlich senile Professor gleich wiederholt “An der Freiburger
Musikhochschule gibt es junge Leute aus Rußland, aus der Schweiz, aus den USA,
aus Polen, aus Japan, aus Australien” – sagte er. Das passiert Menschen,
besonders älteren, daß sie sich in Interviews wiederholen. Ich fand es nicht so
besonders merkwürdig und beschloß das ein bißchen zu verschönern. “Die
Studentengemeinde ist sehr international, nicht nur die Vertreter des Westens,
also Deutschlands, der Schweiz, der USA, Japans oder Australiens, sondern auch
die aus zum Beispiel Rußland oder Polen studieren hier,” – sagte ich. Beim
dritten mal aber wurde ich leicht nervös. Der Alte sagte nämlich immer
dasselbe. “An der Freiburger Musikhochschule gibt es junge Leute aus Rußland,
aus der Schweiz, aus den USA, aus Polen, aus Japan, aus Australien.” Etwas ganz
anderes darauf zu sagen ging nicht, weil es da im russischen Text dieses blöde
Australien mit Japan war, sofort erkennbar auch für das deutsche Ohr. So mußte
ich das weiter im Sinne des Interviewten führen. Da ging mir durch den Kopf,
daß der Alte sich vielleicht darüber freut, so interpretierte ich diesmal: “Für
mich, als Professor, ist es sehr erfreulich und bereichernd, daß ich junge
Leute aus allen Kontinenten unterrichten kann, sogar aus Japan und Australien”.
Ich
weiß nicht, wie oft der arme Professor das wiederholte und ich umdichtete, bis
Viktoria herausgekriegt hatte, wie man Minidisk von der Repeed Funktion
befreit. Ich glaube, ich habe alle Aspekte dieses erstaunlich tiefsinnigen
Gedanken des Interviewten ausgeschöpft. Die deutschen Zuhörer, wenn es solche
gab, haben, glaube ich, nichts bemerkt. Was die Russisch verstehende Zuhörer
dabei dachten, wissen wir nicht, aber dank diesem Vorfall haben wir noch eine
Funktion von unserem geliebten Minidisk-Gerät entdeckt.
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Olga Sidor, Radio ECH, 2000.