Wolodymyr
Pawliw.
Visaregime
oder wie kann
der arme Ukrainer die Weltwunder zu Augen bekommen?
Wie wir
wissen, duerfen manchmal auch die reichsten Ukrainern nicht in die USA oder
nach Israel fahren. Von den nicht reichen ist ueberhaupt nicht die Rede. Es ist
irgendwie merkwuerdig — in der ganzen Welt werden die Grenzen abgeschafft und
fuer uns werden sie immer dichter. Tschechien und Slowakei haben auf dem 10-ten
Jahr unserer Unabhaengigkeit beschlossen fuer die Ukrainern das Visum
einzufuehren.
Es gibt kein
einziges Land auf der Welt, wohin der Ukrainer einfach so reisen kann, wie z.B.
ein Deutscher nach Frankreich. Wir brauchen mindestens einen besonderen
Reisepass. Seine Besonderheit liegt in der postsowjetischen Herkunft, weil in
den meisten zivilisierten Laendern ”ein Sonderreisedokument” ueberhaupt nicht
existiert. Eine Reise ins Ausland — ob in den Urlaub oder zu Besuch — ist fuer
den Ukrainer ein ungewoehnliches Ereigniss, das latngere Vorbereitungen bedarf,
grosse Unruhe und das Minderwertigkeitsgefuehl
des Buergers der niedrigsten Klasse ausloest. Nicht nur unsere Armut,
postsowjetische Mentalitaet, die Unfaehigkeit; die fortschrittlichen Leistungen
des ”kapitalistischen” Alltagslebens zu nutzen, schlechte Fremdsprachenkenntnissen
verursachen diese Mangeln, sondern auch ”Die Grundregeln der Grenz- und
Zollkontrolle”, und dazu noch -- auf den beiden Seiten der Grenze.
Also, fangen
wir damit an, wohin wir ohne Visa fahren koennen, das ist einfacher. Nach
Israel oder nach Estland darf man ohne Visa reisen, aber nur mit dem
diplomatischen Pass (zur Information: um einen solchen Pass zu bekommen, muss
man entweder ein hochkaraetiger Diplomat oder ein
einflussreicher Mafiaboss sein). Mit dem diplomatischen Pass oder mit dem
Dienstpass (noch ein Gruss aus der UdSSR) darf man nach Argentinien, Brasilien,
Iran, Kambodscha, Laos, Lettland, Tuerkei, Kroatien, Vietnam, Kuba, Litauen und
China reisen. (In der Tuerkei,
uebrigens, kann man, wenn man einen gueltigen Reisepass hat, das Visum direkt
an der Grenze fuer 10 US $ bekommen).
Falls sie
ein ganz normaler Buerger sind aber einen Resepass haben, koennen sie ohne
Visum, aber mit der Einladung oder mit dem Touristenvoucher nach Ungarn,
Bulgarien, Rumaenien, Mongolei, Jugoslawien (Serbien und Montenegro), Bosnien,
Herzohowina, Mekedonien fahren. Dazu muss man sagen, dass weder eine Einladung,
noch ein Voucher keine Garantie fuer
den gluecklichen Grenzuebergang darstellen. In jedem Moment kann der
tschechische, slowakische, ungarische usw. Grenzbeamte auf die Idee kommen,
dass Ihre ”Unterlagen” nicht ganz ueberzeugend sind. Um es zu klaeren, werden
Sie aus dem Zug oder aus dem Bus aussteigen muessen und etwa vierundzwanzig
Stunden warten muessen. Auch wenn es sich herausstellt, dass alle Unterlagen in
Ordnung sind, wird es trotzdem Ihr Problem sein, wie man weiterfaehrt.
Besonders wenn es eine Gruppenreise war und fuer die Fahrkarten schon bezahlt
ist.
Das einzige
Land von den NATO- Mitgliedslaendern, wohin wir heutzutage ohne Voucher und
Einladung fahren koennen ist Polen. Aber man muss dabei ueber eine bestimmte
Geldsumme verfuegen: nicht weniger als 100 Zloty (ungefahr 20 US $) pro Tag pro
Person. Aber mit der Einreise ist die
Kontrolle gar nicht beendet, weil bei der Ausreise Ihre ”Einmeldung”,
d.h., wo Sie zwischen ”zehn und elf Uhr abends” waehrend des Aufenhalts in
Polen waren, kontrolliert wird.
Aber eine
richtige Prüfung ist ein Versuch, ein Schengen-Touristenvisum zu bekommen.
Keiner von uns kann seinen Urlaub im voraus planen, weil man sich nicht sicher
sein kann, dass man das Visum fuer Spanien, Italien, Deutschland, Frankreich
usw. bekommt. Wenn Sie eine Absage bekommen, fuehlt sich keine einzige
Botschaft verpflichtet, Ihnen eine Erklaerung zu geben. Und dann kann man nur
vermuten, ob gerade an diesem Tag die italienische Fussbalmannschaft verloren
hat und der miese Kleinbuerokrat schlechte Laune hat; oder eine ukrainische
Nutte den tempramentvollen Franzosen hat sitzen lassen und er sich an Ihren
Landsleuten dafuer raechen will, oder die spanischen Medien wegen der illegalen Kuenstlern aus der ehemaligen
Sowjetunion alarmieren und die Botschaft
die bestimmten Anweisungen bekommen hat, oder Gott weisst was. Und noch
mehr, der Gedanke, dass Sie irgendwann zur EU-Botschaft gehen muessen, haelt
Euch in Spannung das ganze Jahr. Sogar wenn sie ”von der Ukraine” muede sind,
genug Geld haben und sich einfach ein Paar Tage in Paris entspannen wollen,
koennen Sie sich trotzdem nicht solche Improvisation leisten und einfach so auf
die franzoesiche Botschaft gehen und einfach so das Visum fuer ein Paar Tage
beantragen. Die Franzosen werden sie bestimmt noch um irgendein zusatzliches
Dokument bitten (das Beschaffen dieses Papiers wird, wahrscheinlich, Ihnen die
ganze Lust auf die Improvisation verderben) und Ihnen in den Pass einen
harmlosen Stempel reinmachen, wo darauf steht, dass Sie hier waren und ein
Visum beantragt haben. Wofuer dieser Stempel geeignet ist, ist auch nicht ganz
klar, weil wenn es eine Absage ist, dann soll es auch so heissen? Aber dieser
Stempel ist eine Art Signals.
Zwischen den
Botschaften der Schengenzone exestiert eine Art ”nicht oeffentlicher Vertrag”,
eine Art harmlose ”Bruederschaft”. Wenn, z.B., die franzoesische Botschaft
Ihnen etwas ”gestempelt” hat, werden die italienische, spanische oder andere
”Mitgliedern” Ihnen auch kein Touristenvisum erteilen. Es wird Ihnen freundlich
erklaert, dass es kein Verbrechen ist, so ein Stempel im Pass zu haben, aber es
besser fuer Sie waere, wenn dieser ”Vermerk” annulliert wäre. Wer soll diesen
Europaeern erklaeren, dass der Stempel ”Ausreise verboten” bei unseren Buergern
schlechte Assotiationen mit früheren Zeiten hervorrufft?
Als eine
meine Bekannte versucht hat, in der aehnlichen Situation sich ueber die
Menschensrechte zu aeussern, hat der Botschafter eines hochkulturellen
europaeischen Landes sie einfach hinausgeworfen. So hat sie verstanden, dass
europaeische Werte nur ”fuer die weissen Menschen” sind.
Aber zurueck
zu dem vorbildlichen ukrainischen Buerger, der einen in jeder Hinsicht
korrekten Pass besitzt, und auesserlich nicht als eine ”potentielle Nutte” oder
”ein Maler” usw. aussieht. Was braucht er, um die Welt sehen zu koennen oder um
sich einfach wie ein Europaeer zu fuehlen, wenn man nach Europa reist?
Es kommt
nicht mehr davon an, inwiefern wir selbst uns als Europaeer fuehlen, sondern
inwiefern uns die anderern als Europaer empfinden. Also, um ein spanisches
Touristenvisum zu bekommen, mussen wir ausser einem Reisepass und dem
Antragformular noch eine Kopie des Ausweisses mit Ameldungsadresse (!), 4
Farbphotos, eine Kopie der Geburtsurkunde (!!) und eine Bescheinigung vom
Arbeitsplatz vorzeigen. Diese Bescheinigung soll die Information nicht nur
ueber Ihre Arbeitsstelle enthalten, sondern auch ueber Ihren Gehalt (was in den
meisten Kommerzfirmen ein Dienstgeheimniss ist) und eine Bestätigung darüber,
daß Ihr Arbeitsplatz auch waehrend der Reisezeit gesichert bleibt (was in
unserem Land nur Gott garantieren kann).
Fuer die
Franzosen reichen auch 2 Photos, dagegen sie interessieren fuer Ihre
Familienangelegenheiten und verlangen Ihre ”Heitratsurkunde”. Unsere Leute sind
schon durch Ihre geringe Ansprueche und grosse Geduld ”beruehmt”, weil keiner
der Buerger dieser Laender, die von uns solche Demuetigung verlangen, so etwas
leiden wird. Dort stehen alle oben genannten Angaben unter dem Gesetz ”Ueber
den Schutz der persoenlichen Daten”. Dort braucht man sogar ein Einverstaendnis
des Buergers, um den Namen und die Wohnungsnummer im Treppenhaus seines Hauses
anzugeben.
Das alles
waere sehr lustig, wenn es nicht so traurig waere. Die Vertraeter der Laendern,
die uns ”political corecct” beibringen koennen, zwingen uns die ”demokratischen
Werte” auf. Sie behandeln uns wie Inlaender, mit denen es nicht noetig ist” Zivilisation”
zu spielen. Natuerlich, behandelt man uns so, wie wir es erlauben. Die Frage
ist nur: wer sind wir? Und warum wir es erlauben?
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Aus der
Zeitschrift ”PIK” (“Polityka i Kultura”)
Übersetzt
von Halia Tomkiv